„Der Menschenfeind“ | Molières Komödie erstmals in Meiningen!

„Hat denn mein Wort bei Ihnen gar kein Gewicht?“, fragt die junge Witwe Célimène ihren Geliebten Alceste. Ein bemerkenswerter Satz! Alceste bezichtigt sie nämlich, anderen Menschen (insbesondere Männern) zu viel Interesse entgegenzubringen und ihn, der ihr immer die Wahrheit sagt, nicht aufrichtig zu lieben. Damit ist der Spannungsbogen von Molières Komödie „Der Menschenfeind“ umrissen.
Die der Untreue verdächtigte Célimène denkt gar nicht daran, sich zu rechtfertigen. „Ich habe Ihnen meine Gefühle deutlich gemacht“, ruft sie Alceste in Erinnerung. Das muss genügen – schließlich gelten im 17. Jahrhundert, dem „Grand siècle“ der französischen Literatur, Worte mehr als Taten! Was Alceste, der nach Bestätigung geradezu lechzt, in noch tiefere Verzweiflung stürzt.
Überhaupt, diese Sprache! Sie funkelt und blitzt, sie stichelt und spöttelt, sie bringt die Dinge auf den Punkt und ist doch zugleich so raffiniert, dass das Ungesagte nur durchschimmert. Molières „Menschenfeind“, ein Sprachkunstwerk, hinter dem sich brillante Gedanken verbergen.
Im Zentrum des Stücks steht Célimène, der Star der Pariser Salons. Die dort herrschenden ausgeklügelten Benimmregeln, gegen die Alceste rebelliert, sind gar nicht so leicht zu durchschauen. Hier liebt man es, über Abwesende herzuziehen, hütet sich aber vor allzu großer Direktheit im persönlichen Umgang, Heuchelei ist en vogue. Durch seine Liebe zur ungeschminkten Wahrheit, die auch mal verletzend sein kann, eckt Alceste überall an und schießt sich schließlich ins gesellschaftliche Aus. Er glaubt sich dennoch im Recht, übersieht dabei aber die Ambivalenz eines Zeitalters, das auf Ausgleich bedacht war. Auch aus heutiger Sicht wirft Alcestes Verhalten Fragen auf: Braucht es in einer funktionierenden Gesellschaft nicht auch – zugegeben nicht immer ganz aufrichtige – Konventionen, die für den nötigen Zusammenhalt sorgen? Wie steht es um Alcestes Forderung, im Besitz der alleinigen Wahrheit zu sein? Und schließlich: Ist das Leben nicht auch ein Fest, und wer außen vor bleiben will, wie Alceste, der möge dies tun – aber den anderen nicht die „joie de vivre“ vergällen. Liberté, toujours!
Mit seinem „Misanthrope“ hat Molière eine der eigenwilligsten Figuren der Theatergeschichte geschaffen. Den Eigenbrötler Alceste hat er selbst gespielt. Das zeitgenössische Publikum konnte über diese Figur nur den Kopf schütteln. Ganz anders Rousseau, der den Wahrheitsfanatiker eisern verteidigte. Heute sehen wir diesen Querkopf differenzierter und erkennen auch Molières hintergründige Figurenzeichnung an. Sein Regiedebüt in Meiningen gibt Sebastian Schug, der mit Molières „Don Juan“ bereits das ein Jahr früher entstandene Schwesterwerk inszeniert hat. In Meiningen war der 1666 in Paris uraufgeführte „Menschenfeind“ übrigens noch nie zu sehen. Höchste Zeit für eine Erstbegegnung mit diesem Werk voller Esprit und psychologischer Raffinesse!
Olaf M. Roth, Schauspieldramaturg
„Der Menschenfeind“ Komödie von Molière
Regie: Sebastian Schug
Bühne: Jan Freese
Kostüme: Juliane Götz
Dramaturgie: Olaf Roth
mit: Larissa Aimée Breidbach, Evelyn Fuchs, Pauline Gloger; Marcus Chiwaeze, Leo Goldberg, Renatus Scheibe, Stefan Willi Wang, Jan Wenglarz
Premieren:
FR, 12.05., 19.30 Uhr + SO, 14.05., 18.00 Uhr
weitere Termine: 31.05., 01.06., 24.06.2023 – Großes Haus, Wiederaufnahme 23/24