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Streitfall »Extrawurst« auf dem Grillrost der Befindlichkeiten

EXTRAWURST: Frey, Blume, Fischer, Graudus, Lenßen© Jochen Quast
EXTRAWURST: Frey, Blume, Fischer, Graudus, Lenßen

Tumult im Tennisheim: Eine Abstimmung darüber, ob für das einzige türkische Mitglied im Club ein zusätzlicher Grill angeschafft werden soll, wird für eine Gruppe von Hobby-Sportler:innen zur Zerreißprobe. Denn schnell geht es um sehr viel mehr als nur „um die Wurst“.

Eigentlich ist es ja ein gut gemeinter Vorschlag, den Melanie Pfaff während der Mitgliederversammlung im Tennisclub vorbringt: Wäre es nicht ein schönes Zeichen – wenn denn nun schon ein neuer Grill für den Club angeschafft werden soll – gleich auch einen zweiten Grill für ihren türkischen Doppel-Partner Erol Oturan zu besorgen? Gemäß den islamischen Glaubenssätzen darf das Grillgut der muslimischen Mitglieder nicht mit den deutschen Schweinefleisch-Würsten auf einem Rost brutzeln.
Melanie ahnt nicht, was sie damit lostritt: Während Torsten Pfaff, ihr Ehemann, sich hinter sie stellt, will Heribert Bräsemann, der Dienstälteste und seit Jahren schon erster Vorsitzender des Vereins, den letzten Tagesordnungspunkt der Versammlung einfach nur schnellstmöglich hinter sich bringen und das Büffet eröffnen; der zweite Vorsitzende Matthias Scholz zeigt sich als vehementer Gegner eines Zweit-Grills und Erol, für den Melanie so beherzt die Initiative ergreift, will partout keinen „eigenen“ Grill. Doch um den Bratrost mit Gasheizung geht es da schon nicht mehr, sondern vielmehr um gesellschaftspolitische Fragen. Wie viele Rechte muss eine Mehrheit einer Minderheit einräumen? Spielt Religionszugehörigkeit auch im Sport eine Rolle? Wo liegt eigentlich das Ende der Meinungsfreiheit? Und wie können wir uns begegnen, wenn wir in gesellschaftspolitischen Fragen unterschiedlicher Meinung sind? Immer persönlicher wird die Diskussion, immer schmerzhafter die Vorwürfe und nach und nach werden die persönlichen Befindlichkeiten und Vorurteile der Vereinsmitglieder freigelegt. Ist der Tennisclub am Ende noch zu retten?
„Extrawurst“ ist das Stück der Stunde: Seit der Uraufführung im Jahr 2019 am Ohnsorg-Theater Hamburg ist es in die Königsklasse der deutschsprachigen Komödien aufgestiegen. Das Autoren-Doppel Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob trifft zielgenau mitten hinein in die hochbrisanten Diskurse unserer Gegenwart. Sie schicken ihre Figuren auf eine Debatten-Tour-de-Force, bei der die Argumente schneller fliegen und härter treffen als jeder Matchball. Schon vor „Extrawurst“ haben die beiden Autoren unter Beweis gestellt, dass sie tagesaktuelle Themen auf höchst bissige und satirische Art zur Diskussion stellen können: Netenjakob war unter anderem als Autor für die Fernsehformate „Hallo Deutschland“ und „Die Wochenshow“ tätig und steht selbst als Comedian auf der Bühne. Jacobs schreibt regelmäßig für das „Düsseldorfer Kom(m)ödchen“ und für das Fernsehen (u. a. „Extra3“, „Mitternachtsspitzen“ und „heute-show“). Im Jahr 2006 erhielten sie für ihre gemeinsame Arbeit an der Comedy-Serie „Stromberg“ den Adolf-Grimme-Preis.
„Extrawurst“ sieht tief hinab in gesellschaftliche und menschliche Abgründe. Dabei werden Vorurteile, Alltagsrassismen und falsche Toleranz schonungslos offengelegt. Das Publikum ist als „Tennisverein“ mittendrin und muss bei diesem argumentativen Ballwechsel stets seine eigenen Ansichten und Meinungen nachjustieren und ist eingeladen, bei diesem Pointen-Feuerwerk herzlich zu lachen – und auch darüber zu erschrecken, wenn das Lachen, ob der vorgebrachten Argumente, wie ein Stück verkohlte Bratwurst auf einmal im Hals stecken bleibt.

Cornelius B. Edlefsen, Schauspieldramaturg


„Extrawurst“
Komödie von Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob
Regie: Hüseyin Michael Cirpici · Bühne, Kostüme: Helge Ullmann · Dramaturgie: Cornelius B. Edlefsen · mit: Anja Lenßen; Gunnar Blume, Konstantin Graudus, Yannick Fischer, Vivian Frey

Premiere: SA, 13.05., 19.30 Uhr
weitere Termine: 17.05., 25.05., 31.05., 08.06., 15.06., 16.06., 24.06., 04.07., 05.07.2023 – Kammerspiele, Wiederaufnahme 23/24

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