Eine Teufelin beim Schützenfest | Philipp Krenns Neuinszenierung von Webers „Der Freischütz“

Sollte es in der Musikgeschichte so etwas wie „Schlüsselwerke“ geben, Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz“ gehört zweifelsohne dazu. Mit dem von 1817 bis 1819 entstandenen und 1821 in Berlin uraufgeführtem Werk traf Weber den Nerv der Zeit. Die Grundatmosphäre einer volkstümlichen Dorf- und Jägergemeinschaft und die neuartige, die Ära der Wiener Klassik hinter sich lassende, Musik-Ästhetik mit einer Hinwendung zum Nebulösen, Dunklen und Ungewissen, faszinierte das Publikum von Anfang an. Endlich konnte die deutsche Oper der französischen und italienischen Konkurrenz ein gleichwertiges Pendant entgegensetzen. Bis ins 21. Jahrhundert hat „Der Freischütz“ nichts von seiner Popularität eingebüßt. In Meiningen wird jetzt in der Regie von Philipp M. Krenn diese Oper zum sechsten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg neuproduziert.
In der auf den ersten Blick einfachen Geschichte pflegt eine Jägergemeinschaft ihre alten Rituale. Um Förster Kuno zu beerben und seine Tochter Agathe heiraten zu können, muss der junge Jäger Max einen Probeschuss bestehen. Doch Leistungsdruck und Versagensangst führen dazu, dass der sonst so treffsichere Max die letzten Tage vor der Hochzeit nur noch daneben zielt. Da sein Lebensglück in Gefahr gerät, wird er empfänglich für die Einflüsterungen falscher Freunde. Er geht einen teuflischen Pakt ein: Gemeinsam mit dem Außenseiter Kaspar gießt er in nächtlicher Stunde in der Wolfsschlucht sieben magische Freikugeln, die angeblich niemals ihr Ziel verfehlen. Doch nur sechs der Kugeln gehören dem Schützen – die siebte lenkt der Teufel selbst.
Der Stoff, den Weber und sein Librettist Johann Friedrich Kind einem Gespensterbuch entnahmen, berührt uns wegen der psychologischen Details der Personen bis heute.
Trotz volksliedhafter Elemente wie Jäger- und Brautjungfern-Chöre sowie finsterer Klänge einer abgründigen Geisterwelt handelt es sich um ein beklemmendes Kammerspiel, in dem die engen Gedanken-Welten einer Schützen-Gesellschaft überforderte und in sich zerrissene Menschen heraufbeschwört. Die Oper zeigt das Schicksal eines jungen Mannes, der sich aus Versagensängsten zu einem Pakt mit dem Teufel treiben lässt und entwirft gleichzeitig das Bild einer orientierungslosen Gesellschaft, die in Tradition und Hierarchien nach Halt sucht.
In der Inszenierung von Philipp M. Krenn, der schon mit Mozarts „Die Hochzeit des Figaro“ in Meiningen für Furore sorgte, wird das Dämonische, das bei Carl Maria von Weber Samiel heißt, zu einem allgegenwärtigen teuflischen Conférencier in Gestalt der Schauspielerin Nicola Lembach. Als Erzählerin lenkt die „Teufelin“ das Geschehen, als wolle sie Goethes „Faust“ in eine Dorfgemeinschaft verlegen. Darunter wird etwas Ernsthaftes, Brisantes freigelegt. „Der Freischütz“ erinnert an einen „Faust“ fürs einfache Volk, die Verpfändung von Max’ Seele folgt aber nicht wie bei Goethe einem unbändigem Erkenntnis- und Erlebenswillen, sondern dem Wunsch nach geordneter und geruhsamer Existenz.
Walter Schützes Bühnenbild gestaltet dazu eine Wimmelbild-Atmosphäre in einem Milieu von Jahrmarktelementen wie Schießbude und „Hau den Lukas“, aber auch mit Glockenturm, Bildstock-Kapelle und Bushaltestelle. Die angedeuteten Häuser sind auf einer Hügelkuppe unter einem kargen Baum so angeordnet, als ob die Dorfbewohner unter einer schweren Last ächzen, die sie mehr schlecht als recht überleben lässt.
Was verbirgt sich hinter diesem Dorf, in dem die Erinnerung an alte Rituale das Denken und Handeln bestimmen? Was sind das für Menschen, die in längst überholten Gebräuchen Halt suchen und dabei die Grenzen zwischen Realität und Surrealität nicht mehr erkennen? Diesen Fragen wird der Regisseur Philipp M. Krenn nachgehen.
Matthias Heilmann, Musiktheaterdramaturg
„Der Freischütz“
Romantische Oper in drei Aufzügen von Carl Maria von Weber
Dichtung von Johann Friedrich Kind, Textfassung von Johannes Hoffmann
In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln
Musikalische Leitung: Kens Lui • Regie: Philipp M. Krenn• Bühne, Kostüme: Walter Schütze
Video: Philipp Weber • Chor: Roman David Rothenaicher • Dramaturgie: Matthias Heilmann
mit: Lena Kutzner/ Emma McNairy, Monika Reinhard/ Hannah Gries, Nicola Lembach; Isaac Lee, Mark Hightower/Shin Taniguchi, Tomasz Wija, Selcuk Hakan Tiraşoğlu • Chor des Staatstheaters Meiningen
Es spielt die Meininger Hofkapelle.
Premiere: FR, 24.10.2025, 19.30 Uhr – Großes Haus
weitere Termine: 26.10., 02.11., 29.11.2025, 31.01., 13.03., 29.04., 28.06.2026
Matinee: SO, 12.10.2025, 11.15 Uhr – Foyer Großes Haus, Eintritt frei