Schiller eröffnet Jubiläumsspielzeit 25/26: „Die Jungfrau von Orleans“

Schauspieldirektor und Regisseur Frank Behnke inszeniert „Die Jungfrau von Orleans“
Die Spielzeit 2025/26 steht ganz unter der Überschrift „Jubiläumsspielzeit“. Das Staatstheater Meiningen ehrt seinen Theaterherzog Georg II. auf vielfache Weise – den Auftakt macht ganz im Sinne Georgs die Schauspielsparte und wählt mit Friedrich Schiller einen Dramatiker, der zu den Lieblingsautoren des Herzogs zählte, der sowieso schon eine enge Verbindung zur Stadt Meiningen hat und mit einem Stück, das zum letzten großen Gastspielerfolg der Meininger führte. Schauspieldirektor Frank Behnke wird die Regie führen und gewährt uns vorab einen Einblick.
Lieber Frank Behnke, wie kam es, dass die Wahl auf Friedrich Schillers „Die Jungfrau von Orleans“ fiel?
Schillers spätes Werk aus den Jahren 1800/1801 ist Sprachkunstwerk und politisches Drama und eines der großartigsten Werke von Friedrich Schiller überhaupt. Die Figur der Johanna gibt uns bis heute Rätsel auf. Irgendwo auf der Schwelle zwischen Klassik und Romantik war das Werk wunderbar geeignet für den Aufführungsstil von Georg II. und den Meiningern. Bildgewaltig mit Schlachtszenen wie bei Shakespeare, mit opulenten großen Historienbildern wie bei Kleist, voll von Zauber und Wundererscheinungen. So wurde es in Meiningen zum letzten großen Gastspielerfolg mit rund 180 Vorstellungen und ohnehin zum erfolgreichsten Stück des 19. Jahrhunderts. Die Prospekte der Meininger sind leider verloren, sie wurden nach Sankt Petersburg verkauft, aber die Bühnenbild- und Kostümskizzen des Herzogs sind erhalten und geben uns bis heute einen Eindruck von dieser historischen Inszenierung. Wir nutzen die Jubiläumsspielzeit, um in unserer Neuinszenierung etwas von dieser Ästhetik wiederaufleben zu lassen. Nicht in Form einer Rekonstruktion, aber zitathaft in einigen Bildern und Kostümen.
„Johanna von Orleans“ alias „die Jungfrau von Orleans“ alias „Jean d’Arc“ hat eine sehr aufgeladene Rezeptionsgeschichte.
Schiller hat sich hier so frei vom historischen Stoff gemacht, wie bei keinem anderen seiner Dramen. Sein Exkurs in die Geschichte des 100-jährigen Krieges hatte eben nicht das mittelalterliche Frankreich im Fokus, sondern seine Gegenwart, das Ende des 18. Jahrhunderts, zehn Jahre nach der Französischen Revolution. Schillers „Jungfrau“ kann man unbedingt als eine aktuelle Überschreibung des historischen Stoffes aus dem Geist der Schillerzeit lesen. Schiller, als der Freiheitsdichter und Aufklärer, sah in ihr, ähnlich wie kurze Zeit später bei seinem nächsten Stoff, dem „Wilhelm Tell“, eine Widerstands- und Freiheitskämpferin. Die Rezeptionsgeschichte ist geprägt von unzähligen ideologischen Vereinnahmungen. Insbesondere von nationalistischer Seite wurde Johanna zur ikonischen Figur verklärt. Das reicht bis in die Gegenwart, wenn Johanna in Frankreich vom rechtsextremen „Front National“ gefeiert wird. Schiller würde sich im Grabe umdrehen. Er hätte sich auch selbst nicht als Nationaldichter beschrieben, er war durch und durch transnational, ein Europäer oder so etwas wie ein früher Weltbürger.
Was genau ändert Schiller von der historischen Figur ab und was bezweckt er damit?
Schiller lässt Johanna zum Beispiel – anders als die historische Figur – nicht auf dem Scheiterhaufen enden. Im Gegenteil, er verklärt sie zur Idealgestalt. Schillers Johanna trägt nicht nur die Fahne vor den Franzosen im Feldzug gegen die Engländer, die schillersche Version kämpft selbst mit dem Schwert in der Hand und stirbt den Helden- oder Märtyrerinnentod und fährt mariengleich in einer Apotheose gen Himmel. Schillers Tragödie war eine direkte Reaktion auf einen Schmähtext von Voltaire, der sich über Jean d’Arc lustig gemacht hat. Schiller sah in ihr einerseits eine Figur, die fantastisch in den Zeitgeist der beginnenden Romantik passte, andererseits verkörperte sie auch seine von Immanuel Kant geprägte Idee vom Selbstbestimmungsrecht der Völker, was angesichts der vorrückenden napoleonischen Truppen in Europa ein brandaktuelles Thema war.
Was ist für dich als Regisseur das Entscheidende an diesem Stoff?
Ich sehe in Johanna eine extrem mutige junge Frau, die sich gegen alle Konventionen ihrer Zeit stellt. Sie lehnt sich gegen den Vater auf, passt sich nicht an, verweigert die ihr zugeschriebene Geschlechterrolle und will in der Politik mitgestalten. Sie hat ein politisches Programm, eine Mission, die sie fanatisch durchsetzen will. Innerhalb einer krisenhaften politischen Situation, in der alle Männer versagen, findet sie ihre Lücke. Ihr geht es um die Befreiung der Franzosen von der englischen Fremdherrschaft, um ein freies Frankreich. Weltpolitik und Geschlechterpolitik kommen bei ihr zusammen. Bei ihrem Kampf gerät sie dann in einen existentiellen Konflikt, der unlösbar ist. Das macht sie zur tragischen Figur. Sie verliebt sich in Lionel, einen Kämpfer aus dem feindlichen Lager. Ihre Mission wird also auf die allerhärteste Probe gestellt. Doch Schiller würde sie am Ende nicht verklären, wenn sie diese Probe nicht bestehen würde.
Worin liegt bei diesem Stoff und dieser extremen Figur die Bedeutung für die Gegenwart?
Schiller schreibt ein Stück über einen Krieg in Europa, über Gewalt und Widerstand. Die Parallelen liegen auf der Hand und die Assoziationen zu Russlands Krieg in der Ukraine kann man nicht wegschieben. Johanna ist eine Figur, die für die Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht in den Tod geht, und durch nichts von ihrem Weg abzubringen ist. Doch Johanna wird zur gefährlichen Figur, eine Kriegsmaschine, die zu keinem Mitleid mehr fähig ist. Auf diese Weise warnt Schiller mit seinem Stück vor der toxischen Energie von radikalem Nationalismus und das zu einer Zeit, in der diese politische Idee erst im Entstehen war.
Das Interview führte Deborah Ziegler,
Schauspieldramaturgin
„Die Jungfrau von Orleans“
Romantische Tragödie von Friedrich Schiller
Regie: Frank Behnke• Bühne: Christian Rinke • Kostüme: Susanne Maier-Staufen • Videokonst/KI-Animation: Luis August Krawen • Musik: Matthias Schubert • Dramaturgie: Deborah Ziegler
mit: Noemi Clerc, Anja Lenßen; Gunnar Blume, Vivian Frey, Florian Graf, Matthis Heinrich, Leonard Pfeiffer, Paul Maximilian Schulze, Rico Strempel, John Wesley Zielmann
Premiere: Fr, 05.09.2025, 19.30 Uhr – Großes Haus
weitere Termine: 14.09., 20.09., 05.10., 09.10., 11.10., 25.10., 10.12.2025, 11.01., 21.02., 12.04., 19.06.2026 – Großes Haus
Einführungen 30 Minuten vor Vorstellungsbeginn im Foyer
Matinee: So 31.08.2025, 11.15 Uhr – Foyer, Eintritt frei