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Sensationelle Wiederentdeckung: Sarros Barockkrimi „Didone abbandonata“

Wie zur Zeit Herzog Georg II. wird im Malsaal ein  Gemälde für die Bühne  gefertigt: Claude Lorrains  „Die Einschiffung der  Königin von Saba“ von 1648. Foto: C. Iberl
© Christina Iberl
Wie zur Zeit Herzog Georg II. wird im Malsaal ein Gemälde für die Bühne gefertigt: Claude Lorrains „Die Einschiffung der Königin von Saba“ von 1648. Foto: C. Iberl

Vor 300 Jahren schrieb der große Dichter Pietro Metastasio mit „Didone abbandonata“ sein erstes dreiaktiges Libretto, das in Folge mehr als 60 Mal vertont wurde. Die erste Vertonung stammt von Domenico Sarro (1697–1744) und wurde am 1. Februar 1724 in Neapel uraufgeführt. Herzog Anton Ulrich, Urgroßvater von Georg II. und wie sein Urenkel theaterbegeistert, baute in Meiningen eine Libretto-Sammlung auf, der eine Abschrift dieses damals berühmten Werkes Sarros angehört. Zum 200. Geburtstag Georgs II. wird das Werk erstmals szenisch in Deutschland gezeigt.

Domenico Sarros „Didone abbandonata“ ist eine Entdeckung. Der heute weitgehend unbekannte italienische Komponist zeigt in der Einfachheit mancher Arienbegleitung, aber auch in der Dramatik der Ensembles einen außergewöhnlichen Sinn für lebendiges Theater. Mehrere Kopien der handschriftlichen Partitur des Werkes befinden sich im Konservatorium San Pietro a Majella in Neapel. Im Schloss Elisabethenburg liegt eine Abschrift, die der Urgroßvater Georgs II., Anton Ulrich, von seinen Wienreisen (größtenteils 1720 bis 1730) mit nach Meiningen gebracht hat.
Nachdem mit Rameaus „Castor et Pollux“ die Barock-Reihe des Staatstheaters Meiningen in der vergangenen Spielzeit erfolgreich fortgesetzt wurde, kommt im Jubliäumsjahr Georgs II. diese in Deutschland noch nie szenisch gezeigte Barockoper auf die Bühne. Lediglich konzertant wurde am 23. September 2005 eine gekürzte Version vom Ensemble „Les Amis de Philippe“ unter der Leitung von Ludger Rémy im Schloss Elisabethenburg aufgeführt.

Doch nicht nur die Musik Sarros ist eine Entdeckung, auch der erste Operntext des bedeutendsten Librettisten des 18. Jahrhunderts, Pietro Metastasio, ist außergewöhnlich. „Didone abbandonata“ schrieb er mit 25 Jahren und in seiner Version ist der oft vertonte mythische Stoff erstaunlich modern. Hier treten gar keine Götter mehr auf – wie zum Beispiel noch bei „Dido und Aeneas“ von Purcell. Sie werden von Dido und Aeneas zwar erwähnt, aber sie antworten nicht mehr.
Dementsprechend konzentriert sich Metastasio in seinem Vorwort zu „Didone abbandonata“ auf den Kern der Geschichte: „Dido, Witwe des Sychaeus, floh nach der Ermordung ihres Mannes durch ihren Bruder Pygmalion, den König von Tyros, mit großem Reichtum nach Afrika, wo sie Karthago erbaute. Dort wurde sie von vielen, insbesondere von Iarbas, dem König der Mauren, zur Heirat aufgefordert, doch sie lehnte stets ab, um der Asche ihres verstorbenen Mannes treu zu bleiben. Währenddessen wurde Aeneas, von einem Sturm an die Küste Afrikas getragen, von Dido empfangen und gestärkt, die sich leidenschaftlich in ihn verliebte. Während er, erfreut über diese Zuneigung, bei ihr blieb, befahlen ihm die Götter, seine Reise nach Italien fortzusetzen, wo sie ihm ein neues Troja versprachen. Aeneas reiste ab, und Dido beging verzweifelt Selbstmord. (…) Der Einfachheit halber wird so getan, als ob Iarbas, neugierig Dido zu sehen, sich in Karthago als sein eigener Botschafter unter dem Namen Arbace vorstellte.“
Alle Figuren spielen sich in besonders auffälliger Weise gegenseitig Rollen vor, belügen sich, suchen Auswege. Es geht um Macht, um Machtvisionen und es geht um Liebe, die aber wie immer in jenem Jahrhundert durchgängig instrumentalisiert wird.

„Metastasios Text ist eine Sensation in der Art der Verdichtung der Zusammenführung der sechs Personen, auch der Komik, die dabei entsteht. Aus einigen Konstellationen würden Shakespeare oder Goldoni eine Komödie machen.“ Dietrich W. Hilsdorf


Mit dem Entstehungsjahr 1724 befinden wir uns am Beginn des 18. Jahrhunderts, im Zeitalter der Aufklärung und der literarischen Epoche der Empfindsamkeit, die als Reaktion auf die vernunftbasierte Aufklärung subjektive Gefühle gegen den Rationalismus stellt. Mit Choderlos de Laclos‘ „Gefährlichen Liebschaften“ erscheint 1782 die brutalste Abrechnung mit dem Liebesverständnis dieser Epoche. Liebe wird nicht verklärt wie im 19. Jahrhundert, sondern in Romanen und Theaterstücken fast wissenschaftlich untersucht, gewissermaßen werden Versuchsanordnungen auf die Bühne gestellt. Das passiert bei keinem Autor so deutlich wie bei Pierre Carlet de Marivaux, dessen Stücke zum Teil so wirken, als ob man eine Handvoll Menschen-Kreaturen in eine Box einsperrt und dann zusieht, was passiert.

Ähnliches geschieht auch in Metastasios Libretto zu „Didone abbandonata“: Sechs Personen – zwei Frauen und vier Männer – werden einem Menschen-Versuch ausgesetzt, das ist die typische Vorgehensweise im 18. Jahrhundert. Dieses Spiel ist bis aufs Äußerste psychologisch ausgereizt, die Figuren erscheinen geradezu nackt, die Gewänder der Sozialisierung, der zwischenmenschlichen Übereinkünfte werden abgelegt, sogar heruntergerissen.

Das ist ein idealer Stoff für Dietrich W. Hilsdorf, der zuletzt vor 23 Jahren in Meiningen mit großem Erfolg bei Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ inszenierte. Er interpretiert Sarros Oper als Kammerspiel um Intrigen, verschmähte Liebe, Missverständnisse und Menschen im Spannungsfeld zwischen Liebe und Verpflichtungen. Durch die Malerei an den Wänden und die Kostüme von Christian Rinke wird die Oper klar in ihrer Entstehungszeit im 18. Jahrhundert verortet, zugleich ist jederzeit deutlich, dass hier Theater gespielt wird.

Dr. Bernhard F. Loges,
Musiktheaterdramaturg


„Didone abbandonata (Die verlassene Dido)“
Szenische Uraufführung
Oper in drei Akten von Domenico N. Sarro
nach einem von Libretto Pietro Metastasio
In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Musikalische leitung: Samuel Bächli • Regie, Bühne: Dietrich W. Hilsdorf • Kostüme: Christian Rinke • Dramaturgie: Julia Terwald, Bernhard F. Loges
mit: Hannah Gries, Lubov Karetnikova, Monika Reinhard, Marianne Schechtel; Garrett Evers, Meili Li, Meininger Hofkapelle

Premiere: FR, 19.09.2025, 19.30 Uhr – Großes Haus
Einführungen 30 Minuten vor Vorstellungsbeginn im Foyer
Matinee: SO, 07.09.2025, 11.15 Uhr – Kammerspiele (Theaterfest)

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